Eigentlich gehören Herbst und Winter nicht gerade zu meinen bevorzugten Jahreszeiten. Dunkles und kühles Wetter verleiten schnell zu depressiven Stimmungen. Nachdem ich jedoch seit Sommer 2001 als Nachhilfelehrer in einer Privatschule arbeite, hat sich daran einiges geändert. Der Unterricht überbrückt die Stunden zwischen der täglichen Helligkeit und der Abenddämmerung. Zeiten, die einem sonst eher negativ zugesetzt haben. Ach ja, ich bin Christian, 26 Jahre alt und ich studiere Politik und Geschichte. Wie schon erwähnt arbeite ich in meiner Freizeit in der Nachhilfe. Und durch meine Arbeit hat sich grundsätzlich etwas bei mir und meiner Lebensweise getan.
Aber was hat sich verändert? Ganz einfach: Der Kontakt zu jungen, meist strebsamen Schülerinnen und Schülern. Über negative Dinge nachdenken braucht man wirklich nicht, wenn man im Unterricht über Strahlensätze oder arithmetische Folgen doziert.
Im Herbst 2002 gab es in dieser Hinsicht noch eine weitere Wendung: Da kam ich nämlich zu Katie. Oder besser gesagt, Katie kam zu mir. Katie ist 14 Jahre alt, hübsch und sympathisch. Auf dem ersten Blick dachte ich, dass sie mindestens 2-3 Jahre älter sein müsste. Jedenfalls erschien sie für ihr Alter recht reif rüber zu kommen. Sie war stark geschminkt und von ihrer körperlichen Entwicklung her, doch sehr weit.
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Katie: Am anfang hat ich voll kein bock auf dich tut mir leid
brudini: warum eigentlich? komme ich so asi rüber?
Katie: kp ich war allgemein schlecht drauf und du hast immer irgendwelche komischen witze gemacht ABER JETZT BIST SAU LIEB IMMA UND VOLL COOL DRAUF
brudini: was für komische witze?
Katie: marina und ich reden imma über dich das du so cool drauf bist.
brudini: echt?
Katie: joa […] sie erzählt mir die Witze die du bei ihr gesagt hast und ich die die du bei mir gesagt hast und das du sau lieb bist und das du voll hamma drauf bist usw.... also nur positives
brudini: erzähle ich bei ihr andere witze als bei dir? [...] dann bin ich ja echt lustig
Katie: manchmal
brudini: auch schon mal die gleichen gehört?
Katie: du bist sau cool […] ich mag dich.... […] :-*
brudini: ich mag dich auch […] zuerst nicht so
Katie: *freu*
brudini: das warst du so unmotiviert […] und jetzt finde ich dich einfach nur spitze
Katie: das warst wohl du der mich motiviert hat.. […] danke schön.......:-D
brudini: das hoffe ich ja ;-)
Katie: is ja auch so..
brudini: dann können wir ja gut zusammenarbeiten
Katie: […] ich denke nicht nur, das ist auch so....
Spätestens in dieser Nacht merkte ich, dass Katie ein vertrauensvolles Verhältnis zu mir aufgebaut hatte. Meine anfänglichen Bedenken ihr gegenüber hatten sich vollkommen aufgelöst. Der Inhalt des Chats gibt diese Stimmung erkennbar wieder. Uns einte eine Freundschaft, die einen knappen Monat zuvor überhaupt nicht denkbar gewesen wäre. Katies neuer Wille, schulisch motiviert mitzuarbeiten, hatte meine Strategie aufgehen lassen. Sie zu dieser Zeit noch einem anderen Lehrer zu überlassen, kam mir in keinerlei Weise mehr in den Sinn.
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Katie: ja […] aber du sagst das wirklich keinem bitte
brudini: an dem wort versuch kann ich doch schon sehen dass du das nicht in den griff bekommst
Katie: doch tue ich […] aber du sagst das keinem versprochen?!?
brudini: Katie weisst du eigentlich was du gerade von mir verlangst?
Katie: ja weiß ich ganz genau!! […] versprech mir das !
brudini: annika hat das erst in den griff bekommen als sie gelernt hat darüber zu reden
Katie: ja ich bin ja gar nicht krank […] aber versprech mir das man!!!
brudini: du bist krank. das ist so
Katie: jetzt versprech mir das man
Katie: bitte
Katie flehte förmlich, dass ich ihr das Versprechen gebe. Sie muss verzweifelt am Computer gesessen haben und bereute wohl, es mir gegenüber so klar zugegeben zu haben.
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Katie stand im März 2003 als körperliches und seelisches Wrack da. Sie befand sich genau vor einer Weggabelung. Der eine Weg führte ins gesundheitliche Verderben. Es war der Weg, den sie zuvor auch schon beschritten hatte. Der andere Weg führte ins Glück. Er war nur begehbar, wenn sie einsichtig ihre Krankheit erkennen und ihr Leben völlig umstellen würde. Katie wusste nicht, wohin sie gehen sollte. Aber sie hatte mich als ihren Wegweiser. Ich war bereit, ja, geradezu entschlossen, ihr den richtigen Weg zu zeigen. Doch dazu musste sie erstmal anfangen die Worte des Wegweisers zu lesen, zu verstehen bzw. sie umzusetzen. Eigentlich war Katie dazu bereit. Hatte sie die Kraft dazu? War sie willig, den Weg vollständig mitzugehen oder würde sie auf halber Strecke umkehren?
Eine einschneidende Woche sollte folgen. Überraschende Ereignisse trafen auf sie und mich ein, die hart an die emotionale Substanz gingen. Doch sollte die Woche auch ihren Weg markieren. Es war Katies Weg zur Einsicht.
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